Lukas’ Weg in die Tagesstruktur

Was tut sich bei… Lukas Nimmerrichter aus Wien?

Ende der neunten Klasse fiel Mama aus allen Wolken als sie bei einem Elterngespräch mit meiner Lehrerin erfuhr, dass sie sich um eine geeignete Tagesstruktur für mich selbst kümmern müsste.

Bis Ende des Schuljahres 2022 war es (laut Lehrerin und wegen der Coronapandemie) in der Schule nicht erlaubt, Werkstätten zu besuchen oder Schnuppertage zu machen, die normalerweise im neunten Schuljahr gemacht wurden.

Ich habe noch ein zehntes Schuljahr bewilligt bekommen, sonst wären meine Eltern und ich vor vollendeten Tatsachen gestanden.

Gleich am nächsten Tag kontaktierte Mama das Jugend-Coaching – WUK Werkstätten – in Wien und bekam Ende Juni 2022 noch einen Beratungstermin.

Mama füllte für mich die Zielvereinbarung mit dem Jugendcoach und das Antragsformular des FSW (Fonds Soziales Wien) aus. In diesem musste sie meine Daten als Kunde, sowie die vertretungsbefugten Personen eintragen.

Viele Unterlagen dazu waren notwendig: Geburtsurkunde, Bescheid der erhöhten Familienbeihilfe, Pflegegeldbescheid, Behindertenpass, Reisepass, die beiden letzten Schulzeugnisse, sowie ärztliche Befunde. Auch eine Haftungserklärung musste sie unterschreiben, den der FSW fördert meinen Platz in der Tagesstruktur. Von meinem Pflegegeld muss ich 30 % an Eigenleistung an FSW bezahlen. Laut FSW sind Leistungen für Wohnen und Pflege in diesem Falle vom Pflegeregress nicht ausgenommen. 

Die nette Dame vom Jugendcoaching fragte mich auch, ob ich mit Geld umgehen könnte und welche Vorlieben ich hätte. Da half mir eine Zusammenstellung von Mama und der Lehrerin über meine intellektuellen, sozialen und lebenspraktischen Fähigkeiten. Ich hatte auch meine METACOM-Symbole mit dabei und antwortete auf einfache Fragen selbst mit meinen Gebärden „Ja“ oder „Nein“ bzw. durfte Mama für mich antworten, mit meiner Absprache.

Mitte August 2022 erhielt ich dann die Förderbewilligung von FSW, dass die Leistung „Tagesstruktur inklusive Mobilitätskonzept“ bis 31. Juli 2027 bewilligt wurde.

Später erfuhr Mama, dass dieses Datum nur gilt, sollte ich schon in einer Tagesstruktur sein. Somit gilt in Wahrheit, das Datum des ausgestellten Bescheides, somit ist dieser nur ein Jahr gültig.

Was hieß das jetzt für mich und meine Eltern? Die Suche nach einer geeigneten Tagesstruktur begann:

Als erste kontaktierte Mama im August die zuständige Sozialarbeiterin bei der Lebenshilfe per E-Mail. Die Förderbewilligung, sowie meine Kontaktdaten packte Mama ebenfalls in dieses Schreiben hinein, ebenso dass ich eine Tagesstruktur suche und bis wann ich einen Platz benötige.

Zum besseren Verständnis hat Mama die Broschüre Arbeiten bei der Lebenshilfe Wien heruntergeladen. Hier fanden wir viele Informationen, die für mich wichtig waren, ebenso die Betreuungszeiten.

In den Schulhort konnte ich bis 16:00 Uhr gehen, aber in der Tagesstruktur sind die Betreuungszeiten von 7:30 – 15:00 Uhr und Freitag nur bis 13:00 Uhr.

Mama hat von Mitte bis Ende August die Tagesstrukturen, die von FSW gefördert wurden, angerufen bzw. per E-Mail angeschrieben. Von jeder angeschriebenen Tagesstruktur bekam Sie ein Formular zum Ausfüllen. Dies waren etliche Seiten zum Ausdrucken, zum Ausfüllen, wieder einzuscannen und zurückzuschicken. Dies bedeutete, dass Mamas freie Zeit sehr in Anspruch genommen wurde und sie auch in die Nacht hinein Formulare für mich ausfüllen musste.

Sie meinte einmal, dass es sich anfühle, als würde sie selber wieder 15 Jahre alt sein und eine „Lehrstelle“ suchen. Jedoch suchte sie diesmal nicht für sich, sondern für mich einen guten Betreuungsplatz.

Es wurden immer mehr E-Mails, die sie an die verschiedenen Träger der verschiedenen Tagesstrukturen verschickte:  Jugend am Werk, GIN, Habit, Komit, Waldorf Behindertenbetreuung GmbH (vormals Comenius-Institut), Balance, Wiener Sozialdienste, Assist und Das Band und manche mehr.

Jedes mal, nachdem Mama e-Mails an die verschiedenen Tagesstrukturträger versendet hatte, rief sie zur Sicherheit auch dort nochmal an und fragte nach, ob die E-Mails auch angekommen seien. Es waren aufschlussreiche Gespräche mit einigen Kontaktpersonen dabei.

Weitere zwei Wochen vergingen, bis sich einige der Anbieter der Tagesstrukturen meldeten, entweder telefonisch oder schriftlich und um weitere Informationen baten, zB um ärztliche Befunde oder mein letztes Schuljahreszeugnis.

Anfang September 2022 erhielt Mama von zwei Tagesstrukturträgern die Information, dass ich auf einer Warteliste aufgenommen worden sei. Das bedeutete, dass ich möglicherweise in sechs, zwölf Monaten oder länger einen Platz bekommen würde.

Außerdem musste Mama lernen, dass Tagesstruktur nicht gleich Tagesstruktur war. Es gab verschiedene Angebote und Unterstützungen, die in diesen Einrichtungen angeboten wurden. Das betraf nicht nur die Gruppengröße, den Betreuerschlüssel, sondern auch die Betreuung selbst.

Ein Beispiel: Eine Intensivbetreuungsgruppe hat bei einer Tagesstruktur zwölf Klient:innen und zwei Betreuer:innen. Die Gruppe, die eine „normale“ Betreuung benötigt, kann bis zu zwanzig Klient:innen mit zwei Betreuer:innen umfassen.

Es gab in den verschiedenen Tagesstrukturen unterschiedliche Gruppen (diese Liste hier ist jedoch unvollständig, da es bei jedem Träger die verschiedensten Gruppenangebote gab):

  • Qualifizierung: das könnte z. B. eine Vorbereitung sein, damit man in einer Firma arbeiten kann
  • Arbeitsgruppen: hier wird gearbeitet, z. B. bringen Firmen eine Arbeit in die Gruppe
  • Kreativgruppen: diese Gruppe stellt kreative Produkte und Kunsthandwerke her, die auch verkauft werden
  • Intensivgruppen: in einem individuellen Umfeld wird so viel Betreuung wie nötig angeboten und trotzdem soll die Person mit Behinderung, möglichst viel Selbständigkeit erwerben

Eine Tagesstruktur bot z. B. keine Unterstützung im Bereich des Toiletten-Trainings an, deshalb kam diese gleich für mich gar nicht in Frage.

In anderen Tagesstrukturen wäre ich nicht gut aufgehoben gewesen, weil ich diese Tätigkeiten, die dort gemacht wurden, nicht leisten hätte können.

Somit blieben von der Tagesstrukturliste von Fonds Soziales Wien nicht mehr viele über, die für mich und meinen hohen Unterstützungsbedarf notwendig waren.

In den einzelnen Gesprächen mit den Leiter:innen der Anbieter von Tagesstrukturen, erfuhr Mama „häppchenweise“, dass …

  • die Förderbewilligung von Fonds Soziales Wien ab Ausstellungsdatum nur ein Jahr gültig ist (wenn ich in diesem Zeitraum keine Tagesstruktur bekommen hätte, hätte Mama wieder bei FSW einen neuen Antrag bzw. um Verlängerung ansuchen müssen)
  • dass das Förderbewilligungsdatum (in meinem Fall auf fünf Jahre befristet), nur gültig ist, wenn ich schon in einer Tagesstruktur wäre
  • dass die Leistung auf Standard in von FSW anerkannten Tagesstrukturen bewilligt wurde. Da ich aber eine intensivere Betreuung benötige, musste Mama deshalb mit einem Schreiben der Tagesstruktur bei FSW nochmals auf Erhöhung der Leistung ansuchen.
  • kein Fahrtendienst möglich gewesen wäre, wenn nicht gleich zusammen mit dem Ansuchen um Förderbewilligung einer Tagesstruktur auch gleichzeitig ein Mobilitätskonzept beantragt wurde (Diesen Antrag hätten wir aber nachholen können).

Seit September 2022 wird die Vormerkung für einen Platz bei einem ausgewählten Anbieter einer Tagesstruktur durch das Fonds Soziales Wien erledigt. Sobald ein Platz bei dem gewünschten Anbieter frei gewesen wäre, hätte sich der Anbieter beim Klienten gemeldet.

Mama hat dies für mehrere Anbieter gemacht und es hat sich darauf nur eine Tagesstruktur gemeldet, die freie Plätze gehabt hätte, die jedoch nicht für mich geeignet war. Alle anderen Tagesstrukturträger hat Mama schon vorher angeschrieben oder angerufen, bzw. ab September 2022 dual erledigt, d.h. über FSW vormerken lassen und gleichzeitig direkt angeschrieben oder angerufen.

Mitte September hatte ich somit zwei Anbieter, die mich auf eine Warteliste gesetzt hatten und drei Termine mit persönlichem Gespräch und dem Ausfüllen eines Vormerkbogens.

Ende September 2022 hatte ich mit Mama einen Gesprächstermin in Jugend am Werk im 16. Bezirk in Wien. Mama und ich konnten die Gruppe, wo ein Platz in absehbarer Zeit frei werden würde, besichtigen.

 Ich fühlte mich in dieser Gruppe gleich wohl und probierte gleich alle drei Couchen dort aus. Mein „Adlerauge“ entdeckte sogar die Duplo-Bausteine in der Materialkiste.

Auch Mamas „Bauchgefühl“ hatte einen guten Eindruck von der Gruppe und dem Team gewonnen.

Noch am selben Tag erhielten wir einen Anruf, dass ich sogar schon Anfang Oktober 2022 einen Termin für eine Schnupperwoche in dieser Tagesstruktur (TS) absolvieren könnte. Mama freute sich mit mir und der Leitung von Jugend am Werk.

Anfang Oktober begann ich die Schnupperwoche im JAW (Jugend am Werk). Jeden Tag wurde ich vom JAW eigenen Fahrtendienst um acht Uhr abgeholt und um 14 Uhr 30 nach Hause gebracht. Dies war für uns alle eine Umstellung. Papa kam Anfang der Woche zu spät in die Firma und Mama musste spätestens um 14 Uhr 15 zu Hause sein.

Das Team der Gruppe war sehr nett und bemüht. Jeden Tag schrieben die Mitarbeiter in mein Mitteilungsheft, was ich in der Zeit bei ihnen gemacht hatte. Ich bekam jeden Tag von Mama weiterhin eine Jause mit, die ich dort vormittags aß. Danach begann die Arbeitszeit. In dieser Zeit wollte ich anfangs nichts machen, weder dass ein Buch vorgelesen wurde noch ein Spiel spielen. Trinken und das Mittagessen wollte ich am ersten Tag auch noch nicht. Am zweiten Tag aß ich dann schon die Suppe und das Schnitzel mit Kartoffel. Nur Trinken wollte ich in der TS noch nichts. Ich beobachtete an diesen Tagen nur.

Am letzten Tag der Schnupperwoche hatte Mama mit der Leitung ein Abschlussgespräch und ich erhielt eine Zusage für den Platz in der Gruppe, wo ich die Schnupperwoche absolviert hatte.

Ich begann somit Anfang November 2022 in der Tagesstruktur und konnte mich noch von allen in der Schule verabschieden und die Herbstferien genießen.

Am Mittwoch, 2. November 2022 war es dann so weit: Mein erster fixer Tag in der Tagesstruktur! Ich wurde um acht Uhr abgeholt und kam um 15 Uhr nach Hause.

Mama hat in der zweiten Woche einen Betreuungsvertrag „Standard“ mit Jugend am Werk abgeschlossen. Im Dezember hat Mama beim FSW auf „erhöhte Betreuung“ angesucht. Da ich in der Tagesstruktur auch zu Mittag esse, wird zusätzlich ein Beitrag für jedes konsumiertes Essen pro Tag verrechnet.

Plötzlich habe ich auch nicht mehr 13 Wochen Ferien, sondern nur mehr sechs Wochen Urlaub, so wie Mama und alle anderen auch.

Das wird auf jeden Fall lustig, wenn ich immer Urlaub mit Mama machen kann – juchhuu!

Lukas Nimmerrichter mit Mama Elisabeth

https://www.lebenshilfe.wien/category/arbeiten/unsere-broschuere-arbeiten/

https://www.jaw.at/de/dienstleistungen/tagesstruktur

https://www.hb.at/habit/tagesstruktur/

http://www.komit.at/sozialtherapeutische-tagesstruktur.html

https://www.caritas-wien.at/hilfe-angebote/menschen-mit-behinderung/tagesstaetten/wien/

http://wbb.studio19.at/

https://www.fsw.at/p/tagesstruktur

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